Verkehrswende im städtischen Wirtschaftsverkehr – wo stehen wir
Verkehrswende im städtischen Wirtschaftsverkehr – wo stehen wir
Die Diskussion über eine umzusetzende Verkehrswende findet bislang v. a. im Bereich des Personenverkehrs statt. Dennoch hat der Wirtschaftsverkehr mit 22% Anteil an der Fahrleistung in Städten eine nicht unerhebliche Rolle (vgl. Kraftfahrzeugverkehr in Deutschland (KiD) 2010). Zwar findet ein Großteil der Fahrleistung des Wirtschaftsverkehrs (67%) mit Pkws statt, dennoch sind insbesondere die leichten und schweren Nutzfahrzeuge trotz relativ geringer Fahrleistung für einen erheblichen Anteil der Schadstoffemissionen des städtischen Verkehrs verantwortlich (Bsp. Rostock: 30% Anteil an CO2-Emissionen des städtischen Verkehrs). Obwohl allerorts über Emissionen und Luftreinhaltepläne gestritten wird, gibt es derzeit nur wenige belastbare Aussagen zu Emissionen des städtischen Güterverkehrs.
Ein Grund für die bislang geringe Aufmerksamkeit liegt darin, dass anders als im Personenverkehr, wo durch Haushaltsbefragungen (z. B. Mobilität in Deutschland (MiD) 2017) oder durch Fahrgastzählungen im ÖPNV vergleichsweise gute Datenquellen über die Nachfrage vorliegen, der Wirtschaftsverkehr in den Städten bislang quantitativ kaum erfasst wird und somit auch wenig Erfahrungen auf Seiten der Kommunen vorliegen. Zum spezifischen Fahrtaufkommen pro Flächennutzungseinheit (z. B. Verkaufsfläche eines Ladenlokals, Bürofläche) und der Einwohner liegen deutschlandweit nur vereinzelt lokale Daten vor. Hierfür sind auch die bundesweiten Güterverkehrsstatistiken, wie die KiD 2010 oder die Güterkraftverkehrsstatistik, aufgrund anderer Schwerpunktsetzungen für die Hochrechnung und für die räumliche Übertragbarkeit nicht verwendbar. Die naheliegendste Lösung stellen daher eigene Primärerhebungen der Kommunen dar.
Die im Rahmen solcher Primärerhebungen am Lehr- und Forschungsgebiet für Güterverkehr und Transportlogistik gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass die KEP-Branche (KEP = Kurier-Express-Paket) trotz der ihr entgegen gebrachten Aufmerksamkeit eine deutlich geringere Bedeutung als gemeinhin erwartet hat: Die durchgeführten Erhebungen (u. a. Kordonerhebung und Beobachtung der Zustellvorgänge) zeigen, dass in der Düsseldorfer Innenstadt Fahrzeuge von KEP-Dienstleistern nur einen Anteil von ca. 7 % an den Einfahrten in das Untersuchungsgebiet haben, während insbesondere der restliche Gütertransport (ca. 26 %), die Dienstleistungsbranche (ca. 23 %) sowie das Handwerk (ca. 24 %) einen wesentlichen höheren Anteil an den Einfahrten ausmachen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Ein- und Ausfahren von Nutzfahrzeugen in die Düsseldorf Innenstadt; erhoben am 6.6.2018
Abbildung 2 zeigt die Belegung des Untersuchungsgebiets (Größe ca. 55 ha) im Tagesverlauf. Bis zu 150 Nutzfahrzeuge befinden sich gleichzeitig im Untersuchungsgebiet. Des Weiteren fällt auf, dass am Ende des geltenden Lieferzeitfensters um 11:30 Uhr sich weiterhin über 100 Nutzfahrzeuge im Untersuchungsgebiet aufhalten. Es werden demnach geltende Regelungen nicht durch die zuständigen Stellen durchgesetzt bzw. zu viele Ausnahmegenehmigungen erteilt. Im Jahr 2019 wurde an zwei Tagen eine weitere Erhebung nach dem gleichen Schema durchgeführt, bei der der Lieferverkehr in der Wuppertaler Innenstadt erhoben wurde. Hier zeigt sich, dass einzelne Ladenlokale während der Erhebung bis zu 13 Mal von verschiedenen Zustellern beliefert wurden. Dass jeder Lieferant einen legalen Halteplatz genutzt hat, erscheint angesichts dieser großen Anzahl an Belieferungen und der damit einhergehenden Fahrzeugstopps unmöglich.
Abbildung 2: Belegung der Düsseldorfer Innenstadt mit Nutzfahrzeugen; erhoben am 6.6.2018
An diesen Erhebungen ist erkennbar, dass im Vorfeld bzw. im Rahmen kommunaler Überlegungen zur Steuerung des Güterverkehrs zunächst die Schaffung einer angemessenen Empirie, die auch zur Evaluierung von Maßnahmen genutzt werden kann, notwendig ist. Angesichts der hohen Anzahl an Fahrzeugen, die sich gleichzeitig im Untersuchungsgebiet befinden, zeigt sich auch, dass bei der im Zuge der Verkehrswende diskutierten Raumknappheit und der als Folge daraus geforderten Neuverteilung des Straßenraums auch der Güterverkehr mitgedacht werden muss. Eine Maßnahme dabei ist z. B. die Schaffung von entsprechenden Ladezonen im öffentlichen und im privaten Raum.
Ein erster Schritt zur (besseren) Steuerung des Wirtschaftsverkehrs aus Sicht der Kommune ist zunächst die Erarbeitung eines städtischen Logistikkonzepts. Im besten Fall wird dieses in die bestehenden Planungsinstrumente der jeweiligen Kommune (wie z. B. Verkehrsentwicklungspläne) integriert. Eine Untersuchung der Logistikkonzepte mehrerer deutscher und europäischer Städte zeigt, dass zwar in den meisten Konzepten spezifische Maßnahmen (z. B. Förderung von Lastenrädern) vorgeschlagen werden, aber im Hinblick auf die Umsetzung der Maßnahmen und insbesondere die zeitliche Terminierung kaum Aussagen gemacht werden. Vor allem bei Konzepten deutscher Städte fällt die zeitlich nicht terminierte Festlegung bei der Umsetzung auf. Für eine konkrete Umsetzungsperspektive, aber auch die Möglichkeit der Evaluation ist es notwendig, dass konkrete Zeitschienen aufgezeigt werden.
Bei der Gestaltung des von privaten Marktakteuren durchgeführten Wirtschaftsverkehrs liegen die Hauptaufgaben der Kommune in der Moderation zwischen den unterschiedlichen Akteuren des Wirtschaftsverkehrs, dem Umsetzen regulatorischer Maßnahmen (z. B. bedarfsgerechte Lieferzeitfenster in Innenstädten) sowie in der Schaffung angemessener Infrastruktur (Flächen für Hubs und Logistiknutzung, sowie Verkehrsinfrastruktur). Insbesondere beim Thema Fläche ist die Kommune weitgehend frei in ihrem Handeln. Für eine verträgliche und verkehrssparsame Versorgung der Städte sind innenstadtnahe Flächen für Logistikaktivitäten zu sichern, weil diese alternative Verkehrsmittel (z. B. Lastenrad im Rahmen des NRVP-Projektes LOOP) und Konzepte für eine verkehrssparsame Ver- und Entsorgung der Stadt ermöglichen (Bsp. Entwicklung der innenstadtnahen Fläche Basel Wolf im Rahmen des städtischen Güterverkehrskonzeptes Basel). Dennoch werden bis heute einseitig per Pkw und Lkw erschlossene Gewerbegebiete an den Stadträndern entwickelt. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bei der Einrichtung von Flächen für Micro-Hubs und vergleichbare Lösungen. Neben fehlenden Flächen ist es der Kommune nicht möglich, (anders als beim Car-Sharing durch das Carsharinggesetz) einzelne Flächen für private Anbieter zu widmen. Vielmehr muss die Kommune sicherstellen, dass ein diskriminierungsfreier Zugang für alle Anbieter herrscht. Bei diesem Umsetzungshemmnis könnte eine Reform des Baurechts Abhilfe schaffen. Hierbei sollte zusätzlich die Möglichkeit geschaffen werden, Flächen explizit für die Logistik auszuweisen.
Neben dem Engagement der Städte werden zunehmend die privaten Marktakteure bei innovativen Maßnahmen aktiv. Insbesondere die großen Marktteilnehmer erproben immer wieder Maßnahmen wie z. B. den Einsatz von Micro-Hubs im Zusammenhang mit dem Einsatz emissionsfreier Fahrzeuge wie Lastenräder oder E-Lkws. Hauptmotivation wird neben der Entwicklung eines „grünen“-Images sicher auch die Erprobung alternativer Zustellkonzepte sein, die im Falle eines drohenden Diesel-Fahrverbots oder durch perspektivisch mögliche weitere Einfahrtbeschränkungen in den Innenstädten wettbewerbliche Vorteile darstellen.
Auch wenn die privaten Markakteure teilweise alternative Konzepte erproben und erste Kommunen dieses Engagement unterstützen bzw. eigene Konzepte erarbeiten, ist im Kontext der aufgestellten Klimaziele und dem gesellschaftlich steigenden Umweltbewusstsein festzuhalten, dass die Verkehrswende im Wirtschaftsverkehr noch nicht angekommen ist. Das Bundesverkehrsministerium greift diese Entwicklung auf und fördert seit Juli 2019 mit der Förderrichtlinie städtische Logistik Kommunen und Landkreise (auch im Verbund) dabei, Maßnahmen im Bereich der städtischen Logistik umzusetzen, die Emissionen verringern bzw. den Verkehrsfluss verbessern.
Folgende Maßnahmen werden hierbei gefördert:
- städtische Logistikkonzepte
- Machbarkeitsstudien für Einzelvorhaben
- Umsetzung von Einzelvorhaben (z.B. Mikrodepots, Einrichtung von Ladezonen außerhalb des öffentlichen Straßenraums.
Seitens des Landesverkehrsministeriums wurde im Mai 2019 zusätzlich die Richtlinie zur Förderung der vernetzten Mobilität und des Mobilitätsmanagements veröffentlicht. Im Rahmen dieser Förderrichtlinie werden im Bereich Güterverkehr gefördert:
- Erstellung von integrierten, kommunalen oder regionalen Mobilitätskonzepten, zur Neuordnung oder Ergänzung der Innenstadtlogistik
- Herstellung von Flächen, die für logistische Lösungen in innerstädtischen Bereichen oder Quartieren z.B. für Güter- und Warenstationen genutzt werden.
Bei Fragen und/oder Interesse zu den oben genannten Förderrichtlinien wenden Sie sich bitte an:
Andre Thiemermann
0202/439-4353
Der Lehrstuhl für Güterverkehrsplanung und Transportlogistik befasst sich in drei zzt. laufenden Projekten mit dem Einsatz von Lastenrädern in der Handelslogistik (Düsseldorf/Wuppertal, gefördert aus Mitteln des Nationalen Radverkehrsplans), mit Chancen und Herausforderungen des städtischen Güterverkehrs (Auftraggeber: Agora Verkehrswende, Berlin) und mit dem städtischen Logistikkonzept für Zürich (Auftraggeber: Stadt Zürich).